KAPITEL 27

1. Als es aber Morgen geworden war, hielten alle Hohepriester und Ältesten des Volkes Rat gegen Jeschua, um ihn zu Tode zu bringen.

Gemäß dem Gesetz kann ein Freispruch für den Angeklagten an einem Tag verkündet werden. Aber ein Schuldspruch – nur nach Ablauf einer Nacht, am nächsten Tag (Mischna Sanhedrin 4:1). Der Mischna zufolge war es sehr schwierig, ein Todesurteil zu verhängen.

„Wenn sie für ihn einen Freispruch fanden, ließen sie ihn frei, wenn nicht, verschoben sie die Urteilsverkündung auf morgen. Sie versammelten sich paarweise, aßen weniger und tranken den ganzen Tag keinen Wein und diskutierten die ganze Nacht über alle Argumente, und früh am Morgen kamen sie zum Bejt Din (rabbinisches Gericht). Wer freispricht, sagt: „Ich bin der Freisprechende und ich spreche an meiner Stelle frei“; und der Ankläger sagt: „Ich bin der Ankläger und ich klage an meiner Stelle an“. Der Ankläger kann freisprechen, aber der Freisprechende kann es sich nicht anders überlegen und anfangen anzuklagen“ (Sanhedrin 5:1).

Somit war die Verlegung des Gerichts auf den nächsten Tag eine rechtliche Notwendigkeit.

2. Und nachdem sie ihn gebunden hatten, führten sie ihn weg und überlieferten ihn dem Statthalter Pilatus.

Gemäß der politischen Situation konnte das jüdische Gericht keine Todesurteile selbstständig verhängen. Josephus Flavius schreibt darüber: „Die Besitztümer des Herodes wurden in eine Provinz umgewandelt, und als Herrscher wurde dorthin eine Person aus dem Stand der römischen Ritter geschickt. Coponius (der erste Prokurator von Judäa), dem vom Kaiser sogar das Recht über Leben und Tod der Bürger gegeben wurde“ (Jüdischer Krieg Buch 2, 8:1).

3. Als nun Judas, der ihn überliefert hatte, sah, dass er verurteilt wurde, reute es ihn, und er brachte die dreißig Silberlinge den Hohepriestern und den Ältesten zurück

4. und sagte: Ich habe gesündigt, denn ich habe schuldloses Blut überliefert. Sie aber sagten: Was geht das uns an? Sieh du zu!

5. Und er warf die Silberlinge in den Tempel und machte sich davon und ging hin und erhängte sich.

Es ist unwahrscheinlich, dass Jehuda Isch Krajot Teil des Sanhedrin war oder als Zuschauer zugelassen wurde. Am wahrscheinlichsten bezieht sich „Judas sah“ auf den Moment, als Jeschua zu Pilatus geführt wird.

Er brachte die dreißig Silberlinge den Hohepriestern und den Ältesten zurück und sagte: Ich habe gesündigt, denn ich habe schuldloses Blut überliefert – die Worte von Jehuda hier sind eine Anspielung auf das Buch Dwarim (21:1-8):

„Wenn in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir zum Besitz gibt, ein Erschlagener auf dem Feld liegend gefunden wird und nicht bekannt ist, wer ihn erschlagen hat, dann sollen deine Ältesten und Richter hinausgehen und die Entfernung zu den Städten messen, die rings um den Erschlagenen liegen. Die Ältesten der Stadt, die dem Erschlagenen am nächsten liegt, sollen eine junge Kuh nehmen, mit der nicht gearbeitet worden ist [und] die kein Joch getragen hat, und die Ältesten dieser Stadt sollen die Kuh in ein raues Tal führen, das weder bearbeitet noch besät ist, und sollen dort die Kuh im Tal schlachten; und die Priester, die Söhne Levis, sollen herzutreten [denn sie hat der Herr, dein Gott, erwählt, dass sie ihm dienen und im Namen des Herrn segnen, und nach ihrem Wort soll jeder Rechtsstreit und jeder Schaden entschieden werden,] und alle Ältesten jener Stadt, die dem Erschlagenen am nächsten sind, sollen ihre Hände über [dem Kopf] der Kuh waschen, die im Tal geschlachtet worden ist, und sollen anheben und sagen: Unsere Hände haben dieses Blut nicht vergossen, und unsere Augen haben es nicht gesehen; vergib deinem Volk Israel, das Du, Herr, erlöst hast [aus dem Land Ägypten], und rechne Deinem Volk Israel das unschuldige Blut nicht zu. Und sie werden von dem Blut gereinigt sein“.

Jehuda fordert die Ältesten auf und sagt gemäß den Regeln jener Zeit: ich habe gesündigt; aber in Wirklichkeit ruft er sie auf, die Sache zu untersuchen. Sie aber (wenn wir versuchen zu rekonstruieren, was sie auf Aramäisch sagten), weisen ihn mit dem Argument lama lan (was geht es uns an) und mai chazit (woher willst du das wissen) zurück.

Er ging hin und erhängte sich – die Geschichte mit dem Erhängen erinnert an die Geschichte mit Ahitofel. Ahitofel plante Böses gegen David, und als er sah, dass sein Plan gescheitert war, gab er seinem Haus letzte Anweisungen und erhängte sich (2.Schmuel 17:23). Dem Midrasch zufolge bestand das letzte Vermächtnis darin, sich nicht gegen das Haus David aufzulehnen. Der Midrasch sagt, dass er Pläne mit der Zunge schmiedete und deshalb an der Stelle am Körper gelitten hat, an der die Zunge herausgefallen ist.

6. Die Hohepriester aber nahmen die Silberlinge und sprachen: Es ist nicht erlaubt, sie in den Tempelschatz zu werfen, weil es Blutgeld ist.

Das von Judas zurückgegebene Geld konnte entweder als Schuld gegenüber dem Tempel angenommen werden – gemäß einer der dreizehn Tempelkategorien, wie zum Beispiel eine Opferschuld oder der Ersatz eines Opfers durch ein anderes mit Zahlung eines Teils des Geldes (Mischna Schekalim 6:5) – oder als nedawa (freiwillige Spende). Aber dann durfte es keinen Verdacht geben, dass dieses Geld die Frucht von Diebstahl oder Blutvergießen war. Das betrifft Geld, das für den heiligen Dienst in die Schatzkammer eingebracht wird. Geld für die täglichen Bedürfnisse des Tempels und der Gemeinde wurde ohne Untersuchung angenommen.

7. Sie hielten aber Rat und kauften dafür den Acker des Töpfers zum Begräbnis für die Fremden.

8. Deswegen ist jener Acker Blutacker genannt worden bis auf den heutigen Tag.

9. Da wurde erfüllt, was durch den Propheten Jermijahu geredet ist, der spricht: »Und sie nahmen die dreißig Silberlinge, den Preis des Geschätzten, den man geschätzt hatte seitens der Söhne Israel,

10. und gaben sie für den Acker des Töpfers, wie mir der Herr befohlen hat.«

Obwohl Matthai auf den Propheten Jermijahu verweist, bezieht er sich auf Sacharja (11:13). Das ist ein ziemlich komplizierter Vers aus textkritischer Sicht. Die starken Unterschiede zwischen dem masoretischen Text, der Septuaginta, der Peschitta (Übersetzung ins Syrische) und dem Targum von Jonathan (Übersetzung ins Aramäische) deuten darauf hin, dass die Texte, die den Übersetzern vorlagen, stark voneinander abwichen. Das Haus (Land) des Töpfers kann auch als Schatzmeister oder als Schmelztiegel übersetzt werden, in dem Münzen in Gold umgeschmolzen werden. Ein Rekonstruktionsversuch ergibt die folgende Variante: „Wirf dieses Geld in den Schmelztiegel, denn Mein Preis erwies sich als zu hoch für euch“. Man kann diese Stelle auch so übersetzen: „Zu hoch für Mich ist euer Preis…“.

11. Jeschua aber wurde dem Statthalter vorgeführt. Und der Statthalter fragte ihn und sprach: Bist du der König der Juden? Jeschua aber sprach zu ihm: Du sagst es.

12. Und als er von den Hohepriestern und den Ältesten angeklagt wurde, antwortete er nichts.

13. Da spricht Pilatus zu ihm: Hörst du nicht, wie vieles sie gegen dich vorbringen?

14. Und er antwortete ihm auch nicht auf ein einziges Wort, sodass der Statthalter sich sehr wunderte.

15. Zum Fest aber war der Statthalter gewohnt, der Volksmenge einen Gefangenen loszugeben, den sie verlangten.

Es gibt keine historischen Beweise für die Existenz dieser Tradition bei den Römern. Der römische Prokurator könnte sich an eine Volkstradition gehalten haben, in der es diesen Brauch gab. Die Tradition wiederum verbindet das Pessach Fest mit der Freilassung von Gefangenen. Gleichzeitig gibt es in der jüdischen Tradition zahlreiche Quellen, die mit der Freilassung an Pessach verbunden sind.

So kommt nach vielen Versionen Josef am Pessach Fest aus dem Gefängnis (obwohl man zugeben muss, dass die gängigere Meinung ist, dass es an Rosch Haschana war); an Pessach wird Lot aus Sodom gerettet, und auch der Auszug aus Ägypten fand an Pessach statt. Und die Errettung in Schuschan (Purim) geschieht ebenfalls an Pessach. Obwohl Pilatus selbst kaum von dieser Tradition wusste, gab es sicherlich genügend Berater, die ihm einen Hinweis geben konnten.

16. Sie hatten aber damals einen berüchtigten Gefangenen, mit Namen Barabbas.

17. Als sie nun versammelt waren, sprach Pilatus zu ihnen: Wen wollt ihr, dass ich euch losgeben soll, Barabbas oder Jeschua, der Maschiach genannt wird?

18. Denn er wusste, dass sie ihn aus Neid überliefert hatten.

19. Während er aber auf dem Richterstuhl saß, sandte seine Frau zu ihm und ließ ihm sagen: Habe du nichts zu schaffen mit jenem Gerechten! Denn im Traum habe ich heute um seinetwillen viel gelitten.

In der Literatur ist es ein verbreitetes Motiv, dass die Ehefrau oder Mutter eines Herrschers, der vorhat, Grausamkeiten gegen Juden zu begehen, für sie eintritt.

„Einmal verurteilte Rawa einen Juden zu Stockschlägen, weil er eine Beziehung mit einer Samariterin hatte. An diesen Schlägen starb der Jude. Der persische König Schapur II. beschloss, Rawa zu bestrafen. Aber seine Mutter Ifra Hormiz setzte sich für ihn ein: „Leg dich nicht mit diesen Juden an! Alles, worum sie den Höchsten bitten, bekommen sie!“ – „Was zum Beispiel?“ – fragte Schapur. – „Zum Beispiel bitten sie um Regen, und es regnet“ – „Kein Wunder. Sie bitten in den Regenmonaten. Lass sie jetzt bitten, im Tammus“. Ifra schickte zu Rawa: „Mache dich fertig und bete“. Er betete, und es regnete nicht. Er flehte: „Herr der Welt, tue, wie Du es unseren Vorfahren getan hast“. Und es regnete. Sein Vater erschien ihm und sagte: „Warum beunruhigst du den Himmel? Wechsle den Ort, wo du schläfst“. Er wechselte seinen Schlafplatz und fand am Morgen sein Bett von Messern durchbohrt“ (Taanit 24b).

Die Geschichte von der Frau des Prokurators und ihrem Traum, die wie in Klammern erwähnt wird, soll zeigen, dass Pilatus selbst geneigt war, auf seine Frau zu hören, aber die Juden hatten ihren eigenen Plan.

20. Aber die Hohepriester und die Ältesten überredeten die Volksmengen, dass sie den Barabbas forderten, Jeschua aber umbrächten.

21. Der Statthalter aber antwortete und sprach zu ihnen: Welchen von den beiden wollt ihr, dass ich euch losgebe? Sie aber sprachen: Barabbas.

22. Pilatus spricht zu ihnen: Was soll ich denn mit Jeschua tun, der Maschiach genannt wird? Sie sagen alle: Er werde gekreuzigt!

23. Er aber sagte: Was hat er denn Böses getan? Sie aber schrien über die Maßen und sagten: Er werde gekreuzigt!

24. Als aber Pilatus sah, dass er nichts ausrichtete, sondern vielmehr ein Tumult entstand, nahm er Wasser, wusch seine Hände vor der Volksmenge und sprach: Ich bin schuldlos an dem Blut dieses Gerechten. Seht ihr zu!

Obwohl, wie bereits erwähnt, nicht bekannt ist, inwieweit Pilatus mit den jüdischen Bräuchen vertraut war, scheint er hier öffentlich das Verfahren zu wiederholen, das in der Mischna Sota (9:6) beschrieben wird. Die Mischna befasst sich mit dem Fall, dass in der Nähe einer Stadt die Leiche eines Ermordeten gefunden wird. Die Ältesten der Stadt erklären auf diese Weise ihre Nichtbeteiligung am Mord (Dwarim 21:7). In der Mischna heißt es, dass die Ältesten ihre Hände waschen und öffentlich erklären: „Wir sind rein von diesem Blut“.

Ich wiederhole, dass der örtliche Herrscher durchaus von Beratern umgeben gewesen sein könnte, die für ihn ein passendes Verfahren ausgewählt haben.

25. Und das ganze Volk antwortete und sprach: Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder!

Es ist absolut notwendig zu sagen, dass der hier verwendete Ausdruck „das ganze Volk“ alle bezeichnet, die sich zu diesem Zeitpunkt im Prätorium versammelt hatten. Beim besten Willen wird die Zahl der dort Versammelten 100 Personen nicht überschreiten. Und mehr war auch nicht erforderlich. Dementsprechend ist sein Blut komme über uns und unsere Kinder – ein Schwur, der sich in keiner Weise auf das ganze Volk bezieht.

26. Dann gab er ihnen den Barabbas los; Jeschua aber ließ er geißeln und überlieferte ihn, damit er gekreuzigt wurde.

27. Dann nahmen die Soldaten des Statthalters Jeschua mit in das Prätorium und versammelten um ihn die ganze Schar;

28. und sie zogen ihn aus und legten ihm einen scharlachroten Mantel um.

29. Und sie flochten eine Krone aus Dornen und setzten sie auf sein Haupt und gaben ihm ein Rohr in seine Rechte; und sie fielen vor ihm auf die Knie und verspotteten ihn und sagten: Sei gegrüßt, König der Juden!

30. Und sie spien ihn an, nahmen das Rohr und schlugen ihn auf das Haupt.

31. Und als sie ihn verspottet hatten, zogen sie ihm den Mantel aus und zogen ihm seine eigenen Kleider an; und sie führten ihn ab, um ihn zu kreuzigen.

Derartige Vorführungen mit Gefangenen wurden von römischen Soldaten routinemäßig veranstaltet. Generell wurde Jeschua in keiner Phase – weder bei der Untersuchung, noch bei der Folter, noch bei der Kreuzigung – irgendeine besondere Grausamkeit entgegengebracht.

32. Als sie aber hinauszogen, trafen sie einen Mann von Kyrene, mit Namen Schimon; den zwangen sie, dass er sein Kreuz trug.

Für das Römische Reich war es ganz natürlich, sogar einen zufälligen Passanten zu zwingen, diese oder jene Aufgabe zu erfüllen. Schimon von Kyrene war ein Einwanderer aus Kyrene, einem wichtigen antiken Hafenstadt im heutigen Libyen. Er könnte sowohl ein gewöhnlicher Pilger zum Fest als auch ein Einwohner Jerusalems gewesen sein. Es ist bekannt, dass es in Jerusalem eine Synagoge der Kyrenäer gab (Apg 6,9).

Seit dem zweiten Jahrhundert verbreitete sich von dem Gnostiker Basilides die Legende, dass Schimon von Kyrene selbst anstelle von Jeschua gekreuzigt worden sei. Nach Basilides‘ Meinung konnte Jeschua selbst nicht sterben, weil er nicht materiell war, sondern nur so schien. Aber Gott machte Schimon Jeschua sehr ähnlich, und alle dachten, dass er am Kreuz starb. Diese Theorie hätte eine längst vergessene traurige Anekdote bleiben können, wenn sie nicht vom Koran übernommen worden wäre. Natürlich nicht auf Basilides aufbauend, sondern sich auf die Offenbarung des Korans stützend, behaupten viele islamische Gelehrte bis heute, dass Schimon anstelle von Jeschua gekreuzigt wurde, der von Engeln weggenommen wurde.

33. Und als sie an einen Ort gekommen waren, genannt Golgatha, das heißt Schädelstätte,

Wahrscheinlich erhielt der Berg den Namen Golgolta (vom aramäischen Wort für Schädel) aufgrund seines Aussehens. Es gibt drei verschiedene Vermutungen über die Lage dieses Berges. Nach Meinung der meisten Forscher steht die heutige Grabeskirche tatsächlich an der Stelle der vermuteten Hinrichtung. In jener historischen Periode befand sich der Ort außerhalb der Mauern der Altstadt. Offenbar wurde der Ort zu Beginn des 1. Jahrhunderts n. Chr. als Steinbruch genutzt. Noch heute gibt es einen Durchgang von den Kellerräumen der Kirche zu den Steinbrüchen. Ebenfalls in den Gängen sind Gräber erhalten, die auf das 1. Jahrhundert n. Chr. datiert werden, was ein zusätzlicher Beweis für die Echtheit des Ortes ist.

Unter Protestanten ist der sogenannte Gartengrab beliebt – einer der vermuteten Orte der Kreuzigung, der Anfang des 20. Jahrhunderts von dem englischen Offizier und Forscher Charles Gordon entdeckt wurde. Gegen die Identifizierung dieses Ortes als Golgatha spricht die Datierung des Grabes selbst – 1. Jahrhundert v. Chr., also etwa 150-200 Jahre früher. Es muss gesagt werden, dass Gordons Entdeckung selbst eine Kuriosität geblieben wäre, wenn er nicht den Heldentod im Tschad gestorben wäre. Sein heldenhafter Tod weckte Interesse an seinen Forschungen und gab dem Projekt eine Chance, sich zu entwickeln.

34. gaben sie ihm mit Galle vermischten Wein zu trinken; und als er ihn geschmeckt hatte, wollte er nicht trinken.

Offenbar ist mit Wein einfacher saurer Wein gemeint, der normalerweise zur Ration der Soldaten gehörte. Der zweite Bestandteil des Getränks, das als Galle übersetzt wird, ist offenbar Schierling – ein Kraut mit bitterem Geschmack und bewusstseinsverändernder Wirkung (Tehilim 69:22, Hoschea 10:4). Der Grund für Jeschuas Weigerung ist nicht, dass er Leiden vermeiden oder lindern wollte, sondern dass er so lange wie möglich bei Bewusstsein bleiben wollte, um für die Vergebung des Volkes und des Räubers zu beten (Lukas 23:34,43).

35. Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider, indem sie das Los warfen.

36. Und sie saßen und bewachten ihn dort.

37. Und sie brachten oben über seinem Haupt seine Beschuldigungsschrift an: DIES IST JESCHUA, DER KÖNIG DER JUDEN.

38. Dann werden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken.

39. Die Vorübergehenden aber lästerten ihn, schüttelten ihre Köpfe

40. und sagten: Der du den Tempel abbrichst und in drei Tagen aufbaust, rette dich selbst! Wenn du Gottes Sohn bist, so steige herab vom Kreuz!

Das Kopfschütteln ist eine typische Reaktion der Verurteilung, der Überraschung und der gelernten Lektion (Jermijahu 18:16; 48:27; Ejcha 2:15). Hier ist auch eine Anspielung auf das verbreitete Sprichwort „Arzt, heile dich selbst“.

41. Ebenso aber spotteten auch die Hohepriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen:

42. Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten. Er ist Israels König, so steige er jetzt vom Kreuz herab, und wir werden an ihn glauben.

43. Er vertraute auf Gott, der rette ihn jetzt, wenn er Ihn liebt; denn er sagte: Ich bin Gottes Sohn.

44. Auf dieselbe Weise schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren.

45. Aber von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde;

Da Gerechte und Lehrer der Torah oft mit Himmelsleuchten verglichen werden, wird in der jüdischen Hagiographie oft erzählt, dass der Tod eines Gerechten eine Zeit lang von Dunkelheit begleitet wird. Hier kommt die Dunkelheit, noch bevor Jeschua stirbt. Rabbiner Haj Gaon, der vom Tod Rabbi Jehudas berichtet, sagt, dass es nach seinem Tod zwei Stunden lang dunkel war. Und er sagt auch, dass diese Dunkelheit nicht zu Lebzeiten Rabbi Jehudas eintrat und dass er sie nicht gesehen hat. Das bedeutet, dass das Volk nicht ohne Lehrer gelassen werden wird.

46. um die neunte Stunde aber schrie Jeschua mit lauter Stimme auf und sagte: Elí, Elí, lamá sabachthá ni? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?

47. Als aber einige von den Umstehenden es hörten, sagten sie: Der ruft den Elijahu.

Lama sabachthá ni (schabakta ni) – warum hast du mich verlassen, im Stich gelassen. Vom Klang her konnte es den Zuhörern tatsächlich so vorkommen, als würde Jeschua den Propheten Elijahu rufen.

48. Und sogleich lief einer von ihnen und nahm einen Schwamm, füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken.

49. Die Übrigen aber sagten: Halt, lasst uns sehen, ob Elijahu kommt, ihn zu retten!

50. Jeschua aber schrie wieder mit lauter Stimme und gab den Geist auf.

51. Und siehe, der Vorhang des Tempels zerriss in zwei Stücke, von oben bis unten; und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen,

52. und die Grüfte öffneten sich, und viele Leiber der entschlafenen Heiligen wurden auferweckt,

53. und sie gingen nach seiner Auferweckung aus den Grüften und gingen in die heilige Stadt und erschienen vielen.

Diese Erzählung des Evangelisten sagt nicht, dass der Vorhang im Tempel seine Bestimmung verloren hat. Im Jerusalemer Talmud (Avoda Zara 3:1) werden zwei Geschichten erzählt, die mit dem Tod von Gerechten zusammenhängen. Als Rabbi Chanan starb, wurden alle Statuen, die ihm ähnelten, zerbrochen. Als Rabbi Jochanan starb, fielen alle Porträts herunter, die ihm ähnlich sahen. So offenbart auch Matthai hier, dass der Vorhang im Tempel eine geistliche Verbindung zu Jeschua hatte, dass sein Dienst und seine Lehre mit dem Vorhang verbunden sind.

Es muss noch auf eine weitere wichtige Parallele hingewiesen werden. Im vorherigen Kapitel (26:65) sahen wir den Hohepriester, der seine Kleider wegen der angeblich gehörten Gotteslästerung zerreißt. Hier symbolisiert der zerrissene Tempelvorhang den Allmächtigen, der seine Kleider zerreißt.

54. Als aber der Hauptmann und die, die mit ihm Jeschua bewachten, das Erdbeben sahen und das, was geschah, fürchteten sie sich sehr und sprachen: Wahrhaftig, dieser war Gottes Sohn!

55. Es sahen aber dort viele Frauen von Weitem zu, die Jeschua von Galiläa nachgefolgt waren und ihm gedient hatten;

56. unter ihnen waren Maria Magdalena und Maria, des Jakobus und Josefs Mutter, und die Mutter der Söhne des Zebedäus.

57. Als es aber Abend geworden war, kam ein reicher Mann von Arimathäa, mit Namen Josef, der selbst auch Jeschuas Jünger war.

58. Dieser ging hin zu Pilatus und bat um Jeschuas Leib. Da befahl Pilatus, den Leib zu übergeben.

59. Und Josef nahm den Leib und wickelte ihn in ein reines Leinentuch

60. und legte ihn in seine neue Gruft, die er in den Felsen ausgehauen hatte; und er wälzte einen großen Stein an die Tür der Gruft und ging weg.

Josef von Arimathäa (oder Josef von Ramot) – war wahrscheinlich ein geheimer Jünger von Jeschua. Angesichts des nahenden Schabbats bemüht er sich, den Körper so gut wie möglich für die Bestattung vorzubereiten. Das Gesetz erlaubte in einem solchen Fall, die Salbung und anderes bis zum Ende des Schabbats zu verschieben.

Das apokryphe Evangelium nach Nikodemus berichtet, dass die Juden versuchten, Josef zu verhaften, und ihn einsperrten, aber er wurde auf wundersame Weise gerettet. Obwohl man der Historizität des Apokryphons mit großer Vorsicht begegnen sollte, kann man dennoch nicht leugnen, dass Josef von Ramot, als er sich an Pilatus wandte, sich selbst in große Gefahr brachte.

61. Es waren aber dort Maria Magdalena und die andere Maria, die dem Grab gegenübersaßen.

62. Am nächsten Tag aber, der auf den Rüsttag folgt, versammelten sich die Hohepriester und die Pharisäer bei Pilatus

63. und sprachen: Herr, wir haben uns erinnert, dass jener Verführer sagte, als er noch lebte: Nach drei Tagen stehe ich wieder auf.

64. So befiehl nun, dass das Grab gesichert wird bis zum dritten Tag, damit nicht etwa seine Jünger kommen, ihn stehlen und dem Volk sagen: Er ist von den Toten auferweckt worden. Und die letzte Verführung wird schlimmer sein als die erste.

65. Pilatus sprach zu ihnen: Ihr sollt eine Wache haben. Geht hin, sichert es, so gut ihr könnt!

66. Sie aber gingen hin und sicherten, nachdem sie den Stein versiegelt hatten, das Grab mit der Wache.

Wir finden in den Texten aller vier Evangelien nicht, dass die Jünger tatsächlich Jeschuas Auferstehung erwarteten. Als sie am dritten Tag zum Grab kommen, bringen sie wohlriechende Öle und Salben mit, wie für einen Toten. Warum stellt sich heraus, dass die Priester mehr auf die Auferstehung vorbereitet sind als die Jünger selbst? Höchstwahrscheinlich, weil die Lehre vom Tod und der Auferstehung des Maschiach eine Lehre ist, die nicht allgemein zugänglich und schwer zu verstehen ist.

Zahlreiche Midraschim enthalten in Form von Andeutungen oder Halbsätzen Hinweise auf die Auferstehung am dritten Tag. Auch in vielen Quellen aus der Zeit zwischen der Abfassung des Buches des Propheten Maleachi und der Zerstörung des Zweiten Tempels finden sich ähnliche Andeutungen. All das gibt Anlass zu der Annahme, dass die gebildeten Priester die Christologie besser kannten als die Jünger des Maschiach selbst.

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