KAPITEL 15

1. Dann kommen Pharisäer und Schriftgelehrte von Jerusalem zu Jeschua und sagen:

2. Warum übertreten deine Jünger die Überlieferung der Ältesten? Denn sie waschen ihre Hände nicht, wenn sie Brot essen.

Dies bezieht sich auf das rabbinische Gebot, jedes Mal die Hände zu waschen, wenn man Brot isst. Ursprünglich enthielt die Torah ein solches Gebot nicht. Nach talmudischer Überlieferung entschieden König Schlomo und sein Hof, dass die Priester ihre Hände vor dem Verzehr des Opfers waschen sollten, um die Reinheit des Opfers zu bewahren und aus Respekt vor dem Opfer (Traktat Schabbat 14b, Traktat Eruvin 21b). Das Argument war, dass die Hände von Natur aus alle möglichen Dinge berühren können, so dass der Mensch sie nicht im Auge behalten kann. In gewisser Weise existieren die Hände wie von selbst, getrennt von der Person.

Später versuchten Schamai und Hillel, diese Tradition auch auf Trumot (Opfergaben) auszudehnen. Aber ihre Entscheidung wurde nicht akzeptiert, und erst als ihre Jünger das anordneten, wurde die Entscheidung der Jünger akzeptiert.

Um zu verhindern, dass ein Kohen und ein gewöhnlicher Israelit am selben Tisch aßen und der Kohen sich die Hände waschen musste und der Israelit nicht, wurde angeordnet, dass jeder seine Hände waschen sollte, bevor er Brot, Oliven und Früchte aß. Diese Tradition wurde nicht sofort akzeptiert und löste viele Streitgespräche aus. In einem späten Stadium dieser Streitgespräche wurde Rabbi Elieser ben Hanoch, der das Händewaschen in Frage stellte, exkommuniziert, und sogar sein Ossuarium wurde symbolisch gesteinigt. Jeschua wurde über die Einhaltung dieser Tradition befragt.

Zu Jeschuas Zeiten schickten die Weisen oft Delegationen zu einem bestimmten Rabbiner, um dessen Standpunkt zu einer Frage zu erfahren. Es kam vor, dass infolge des Disputs gerade seine Meinung vorherrschte. Daher sollten wir in der von Jeschua gestellten Frage keine Aggression sehen; sie könnte durchaus rein akademischer Natur gewesen sein.

3. Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Warum übertretet auch ihr das Gebot Gottes um eurer Überlieferung willen?

Jeschua geht auf den Kern der Frage der Pharisäer ein: Ein Zaun um die Torah soll ihre Verletzung verhindern. Wenn die Torah selbst um des Zaunes willen verletzt wird, dann ist der Zaun bedeutungslos.

4. Denn Gott hat gesagt: »Ehre den Vater und die Mutter!«, und: »Wer Vater oder Mutter flucht, soll des Todes sterben.«

Das Gebot, Vater und Mutter zu ehren, gilt als eines der wichtigsten Gebote im Judentum. In einigen Quellen wird es mit der Ehrung Gottes selbst gleichgesetzt.

„Unsere Weisen lehrten: Es steht geschrieben: „Ehre deinen Vater und deine Mutter“. Und es steht auch geschrieben: „Ehre den HERRN mit den Erstlingen“ (Mischlej 3:9). So vergleicht der Tanach die Ehrung der Eltern mit der Ehrung Gottes“ (Talmud, Traktat Kiduschin 30b).

Die ehrfürchtige Haltung der Weisen gegenüber diesem Gebot und die hohen Anforderungen, die sie an seine Erfüllung stellten, geht aus zwei Kurzgeschichten im Talmud hervor:

„Die Mutter von Rabbi Tarfon kam herunter, um im Garten spazieren zu gehen. Und er legte seine Handflächen auf den Boden, damit sie darauf treten konnte, bis sie ihr Bett wieder erreichte. Eines Tages kamen die Weisen, um Rabbi Tarfon zu besuchen. Seine Mutter sagte ihnen: „Ihr solltet meinen Sohn zurechtweisen, er respektiert mich zu sehr“. Sie fragten sie, wovon sie spreche, und sie erzählte ihnen, was geschehen war. Die Weisen antworteten ihr: „Selbst, wenn er es tausendmal getan hätte, hätte er das Gebot der Verehrung nicht einmal zur Hälfte erfüllt“.

„Die Mutter von Rabbi Ischmael beschwerte sich bei den Weisen: „Mein Sohn ehrt mich nicht genug“. Die Weisen runzelten die Stirn: „Beachtet Rabbi Ischmael nicht das Gebot, die Eltern zu ehren?“ Sie stellten ihr die Frage: „Was hat er getan?“ Und sie erzählte es ihnen: „Als er aus dem Gerichtssaal zurückkam, wollte ich ihm die Füße waschen und das Wasser der Waschung trinken, aber er ließ mich nicht“. Sie sagten zu Rabbi Ismael: „Wenn das ihr Wille ist, dann solltest du sie nicht daran hindern“.

5. Ihr aber sagt: Wer zum Vater oder zur Mutter spricht: Eine Opfergabe sei das, was du von mir an Nutzen haben würdest,

6. der braucht seinen Vater oder seine Mutter nicht zu ehren; und ihr habt so das Wort Gottes ungültig gemacht um eurer Überlieferung willen.

Die Formel „Eine Gabe (für Gott) ist das, wovon du von mir Nutzen hättest“ kommt häufig in der Mischna als eine Art Eid vor, der Jadut (Enthaltung) genannt wird. Hier ist der Kern des Eides: Alles, was diese oder jene Person (in diesem Fall der Vater des Schwörenden) erhalten könnte, wird sofort zu einem Heiligtum des Tempels (korban). Folglich kann in dem betrachteten Fall als Ergebnis des Eides der Vater nichts vom Sohn erhalten, und das zu einer Zeit, als der Unterhalt der Eltern ein wichtiger Teil der Erfüllung des Gebots der Ehrerbietung war.

Die Weisen erkannten, dass ein solches Gelübde oft das Ergebnis menschlicher Bosheit war. Und doch erlaubten sie einer Person nicht immer, sich von einem solchen Schwur zu befreien. Der Mischna zufolge neigte Rabbi Akiwa (die Generation nach Jeschua) dazu, den Menschen in solch einem Fall zur Erfüllung des Eides zu zwingen und behandelte ihn als „boshaften Eid“. So war ein Mensch, der im Zorn gegen seinen Vater geschworen hatte, gezwungen, seinen Eid einzuhalten.

Die Weisen glaubten auch, dass das Gericht nicht die Macht habe, eine Person zur Einhaltung dieses Gebots zu zwingen, da die Torah direkt die Belohnung für die Einhaltung dieses Gebots angibt – „damit eure Tage auf Erden verlängert werden“. Aus dieser Perspektive werden die Worte „darf nicht ehren“ als eine Annahme des Urteils über sich selbst gesehen, d. h. „von unserer Seite gesehen, darf er seine Eltern nicht ehren, weil es seine Entscheidung ist, dass er dadurch die in der Torah angegebene Belohnung verliert“.

Der Wunsch, sich an die Tradition des bösen Schwurs zu halten und die Verantwortung für die Verehrung des Vaters abzuweisen, sowie die Weigerung, einen Menschen dazu zu bringen, Gottes Gebote zu befolgen, führte zu dem, was Jeschua sagt: „Ihr habt das Wort Gottes ungültig gemacht um eurer Überlieferung willen“. Das heißt, durch das Halten der Tradition wurde das Gebot Gottes aufgehoben.

Dies ist der erste Teil von Jeschuas Antwort auf die Frage der Pharisäer in Jerusalem. Jeschua zeigt, dass ein Zaun nicht immer speziell um die Torah errichtet wird und vielleicht auch nicht immer als solcher wahrgenommen werden sollte.

7. Heuchler! Treffend hat Jeschajah über euch geweissagt, indem er spricht:

8. »Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit entfernt von mir.

9. Vergeblich aber verehren sie mich, indem sie als Lehren Menschengebote lehren.«

In den rabbinischen Quellen findet sich eine sehr ähnliche Ermahnung (Midrasch Tanah Debej, Elijahu Raba 24):

Gedenke des Schabbattages, dass du ihn heilig hältst“ (Schemot 20,8), „ehre deinen Vater und deine Mutter“ (Schemot 20:12) – welchen Sinn hat es, diese beiden Gebote nebeneinander zu stellen? Um dich zu lehren, dass ein Mensch, der seinen Vater und seine Mutter ehrt, nicht in Versuchung gerät zu sündigen. Wie es heißt: „Glücklich der Mensch, der dies tut, und das Menschenkind, das daran festhält; der den Schabbat bewahrt, ihn nicht verunreinigt (Jeschajah 56:2). Lese nicht mechalelo (nicht verunreinigt), sondern mechal lo (ihm vergeben). Wenn jemand seinen Vater und seine Mutter nicht ehrt, wird er ein schweres Schicksal erleiden, wie es heißt: „Und der Herr hat gesprochen: Weil dieses Volk mit seinem Mund sich naht und mit seinen Lippen Mich ehrt, aber sein Herz fern von Mir hält und ihre Furcht vor Mir nur angelerntes Menschengebot ist“ (Jeschajah 29:13). Niemand soll zu sich selbst sagen: „Da mein himmlischer Vater mich vor meinen Eltern erschaffen hat, will ich den Willen meines himmlischen Vaters tun und den Willen meines Vaters und meiner Mutter ablegen“. Deshalb heißt es: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“, und es heißt auch: „Du sollst den Herrn ehren“, um zu lehren, dass man, wenn man Vater und Mutter ehrt, auch den Herrn ehrt. Und niemand soll zu sich selbst sagen: „Da mein Vater bei meiner Erschaffung vor meiner Mutter war, will ich den Willen meines Vaters tun und den Willen meiner Mutter ablegen“. In diesem Sinne heißt es: „Ein jeder fürchte seine Mutter und seinen Vater“ (Waijkra 19,3). Und es steht auch geschrieben: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, fürchten“ (Dwarim 6,13). Wenn ein Mensch seinen Vater und seine Mutter verflucht, sie schlägt und verletzt, ist es, als ob der Allmächtige seine Füße unter den Thron der Herrlichkeit beugt, als wolle er sagen: „Ich gab denen von Meiner Herrlichkeit (denn die drei haben gleich an Herrlichkeit bekommen), und wenn Ich jetzt in der Nähe dieses Menschen wäre, würde er Mir dasselbe antun. Ich tue gut daran, wenn Ich nicht mit diesem Menschen in derselben Straße lebe“. Wer also Tage und Jahre und Reichtum und Besitz und Leben in dieser und jener Welt sucht, der tue sowohl den Willen des himmlischen Vaters als auch den Willen seines Vaters und seiner Mutter“.

10. Und er rief die Volksmenge herbei und sprach zu ihnen: Hört und versteht!

11. Nicht was in den Mund hineingeht, verunreinigt den Menschen, sondern was aus dem Mund herausgeht, das verunreinigt den Menschen.

Jeschua spricht hier von den Eigenschaften der tumah (rituelle Unreinheit). In jüdischen Quellen wird an vielen Orten über Situationen mit unreinen Gegenständen gesprochen. In diesen Situationen versuchen die Rabbiner, den Status der anderen Objekte zu verstehen. Wenn zum Beispiel eine Quelle der Verunreinigung befindet sich am Eingang eines Hauses, unter einem Vordach, welchen Status haben dann die Gegenstände im Haus – werden sie rituell unrein? Die allgemeine Regel, an der sich die Rabbiner orientieren, ist, dass tumah die Eigenschaft hat, hinauszugehen,aber nicht, hereinzukommen. Das heißt, wenn sich die Quelle der Verunreinigung am Eingang des Hauses befindet, überträgt sie die Verunreinigung nicht auf die Gegenstände im Haus. Aber wenn die Quelle der Unreinheit im Haus ist, dann kann sie die Unreinheit auf die Gegenstände übertragen, die sich am Ausgang des Hauses befinden, unter einem gemeinsamen Vordach mit ihm. Jeschua überträgt die Regel „Unreinheit geht nicht hinein, sondern kommt heraus“ auf die geistige Ebene.

12. Dann traten die Jünger hinzu und sprachen zu ihm: Weißt du, dass die Pharisäer Anstoß genommen haben, als sie das Wort hörten?

Es wurde als wichtig für den Lehrer angesehen, die Schüler nicht mit einem Satz zu verführen, der falsch interpretiert werden könnte. Hier ist, was der Midrasch über Rabbi Jehuda ben Bawa sagt:

„Rabbi Jehuda ben Bawa schlief von seinem achtzehnten bis zu seinem siebzigsten Lebensjahr nicht einmal eine halbe Stunde am Stück. Und er schmeckte vom Anfang seiner Tage an keine Sünde. Und er nannte das Reine nicht unrein und das Unreine nicht rein. Es gab nicht einen Menschen im ganzen Haus der Gelehrten, den er nicht mit dem Licht der Torah erleuchtet hätte. 26 Jahre blieb er im Fasten, und sein ganzes Leben verbrachte er in Reinheit, er verunreinigte sich nie. Und keiner seiner Jünger wurde jemals durch seine Worte in Versuchung geführt. Tag und Nacht verbrachte er damit, seine Schüler zu unterrichten, die er alle nur mit Rabbi ansprach. Wahrlich, es wird von ihm gesagt: „Zerbrochen und demütig im Geiste“ (Jeschajah 57:15). Der Tag, an dem er hingerichtet wurde, war ein Donnerstag. Und es saß im Haus des Lernens ein alter Mann, Reuven ben Iztrubal. Er ließ Rabbi Jehuda rufen. Reuven sagte zu ihm: „Ich weiß, dass du ein vollkommen gerechter Mann bist, aber was kann ich tun? Du weißt, dass das ein unverschämter Beschluss der Obrigkeit ist. Aber wenn du es wünschst, brauchst du nur ein Wort zu sagen, und ich werde an deiner Stelle sterben!“ Rabbi Jehuda antwortete: „Reuven, mein Bruder, du und ich können den Befehl der fleischlichen Obrigkeit nicht aufheben, wie können wir dann den Erlass des Königs der Könige aufheben?“ Und seine Jünger fragten ihn: „Rabbi, willst du nicht etwas essen (dein Fasten brechen), bevor du stirbst?“ Und er antwortete: „Als ich noch nicht wusste, wohin ich gehe, brach ich mein Fasten nicht. Jetzt, wo ich weiß, dass ich bald vor dem König der Könige stehen werde, wie kann ich da mein Fasten brechen?“ Und so wurde er getötet. Und eine Stimme kam aus dem Himmel: „Gesegnet sei Rabbi Jehuda ben Bawa, der rein war und dessen Seele in Reinheit ausging“ (OzarhaMidraschim, Abschnitt Assara Arugej Malchu).

13. Er aber antwortete und sprach: Jede Pflanze, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, wird ausgerissen werden.

Das Bild einer Pflanze, ob gerecht oder ungerecht, war recht weit verbreitet. So lesen wir in einem apokryphen Buch „Die Weisheit Schlomos“ (4,3-6):

„Doch die große Kinderschar der Gottlosen bringt keinen Nutzen; unrechter Nachwuchs treibt keine Wurzeln in die Tiefe und fasst keinen sicheren Grund. Treiben sie auch eine Zeit lang Zweige, werden sie doch, nur unsicher stehend, vom Wind geschüttelt und von der Gewalt der Stürme entwurzelt. Die Äste, die noch schwach sind, werden geknickt; ihre Frucht ist unbrauchbar, unreif und ungenießbar, zu gar nichts geeignet. Denn die Kinder aus ungesetzlicher Verbindung treten im Gericht als Zeugen auf für die Schlechtigkeit ihrer Eltern“.

Und in den Tehilim Schlomos (14,2-3) steht:

„Die Gerechten des Herrn werden für immer nach Seinem Gesetz leben. Das Paradies des Herrn, die Bäume des Lebens – sind die Gerechten des Herrn. Ihr Spross hat für immer Wurzeln geschlagen und wird nicht für immer aus der Erde gerissen werden, denn das Los und Erbe Gottes – ist Israel“.

14. Lasst sie! Sie sind blinde Leiter der Blinden. Wenn aber ein Blinder einen Blinden leitet, so werden beide in eine Grube fallen.

Eine Anspielung auf ein bekanntes Sprichwort: „Wenn der Hirte zornig auf die Herde ist, blendet er den Leitbock“. Wenn das Vieh dem Leitbock blindlings folgt, fällt es in eine Grube und stirbt. Der Traktat Bawa Kama verwendet dieses Sprichwort als Allegorie: Weil Gott zornig auf Israel ist, blendet er seine Führer. Rabbi Pinchas von Horowitz erklärt, dass es eine Strafe ist, wenn das ganze Volk die falschen Anweisungen der Torah von blinden Führern annimmt, weil solche Führer in Israel wegen des Zorns Gottes gegen Sein Volk eingesetzt werden.

15. Petrus aber antwortete und sprach zu ihm: Deute uns dieses Gleichnis!

16. Er aber sprach: Seid auch ihr noch unverständig?

17. Begreift ihr nicht, dass alles, was in den Mund hineingeht, in den Bauch geht und in den Abort ausgeworfen wird?

18. Was aber aus dem Mund herausgeht, kommt aus dem Herzen hervor, und das verunreinigt den Menschen.

19. Denn aus dem Herzen kommen hervor böse Gedanken: Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, falsche Zeugnisse, Lästerungen;

20. diese Dinge sind es, die den Menschen verunreinigen, aber mit ungewaschenen Händen zu essen, verunreinigt den Menschen nicht.

Im Buch Waijkra (17:15) steht geschrieben: „Jeder, der ein Aas oder Zerrissenes isst, er sei Einheimischer oder Fremder, der soll seine Kleider waschen und sich im Wasser baden, und er wird bis zum Abend unrein sein; dann wird er rein sein“. Die Sifra de-Znijuta (Buch Sohar) stellt die Frage: „Wie wird die Kleidung eines Menschen durch das Essen unrein? Und wenn das Essen einen Menschen unrein macht, während es in ihm ist, war es dann möglich, die Kleidung zu waschen, bevor das Essen herauskam?“ Und es gibt eine Antwort: „Wenn man ein Aas isst, wird durch den Mundhauch das Kleid unrein“.

Im Midrasch Kohelet lesen wir:

„Das Herz hat zehn Eigenschaften: ein Herz, das sieht, ein Herz, das spricht, ein Herz, das weiß, ein Herz, das hört, ein Herz, das weint, ein Herz, das steht, ein Herz, das geht, ein Herz, das fällt, ein Herz, das sich freut, ein Herz, das sich tröstet.

Ein sehendes Herz, wie es heißt: „Und mein Herz hat viel Weisheit und Wissenschaft gesehen“ (Kohelet 1,16);

Ein sprechendes Herz, wie es geschrieben steht (ebd.): „Ich sprach ich in meinem Herzen“;

Ein wissendes Herz,wie es geschrieben steht: „Das Herz kennt sein eigenes Leid“ (Mischlej 14:10);

Ein Herz, das hört, wie es geschrieben steht: „So gib denn Deinem Knecht ein hörendes Herz“ (1.Melachim 3:9);

Ein weinendes Herz, wie es geschrieben steht: „Ihr Herz schreit laut zum Herrn“ (Ejcha 2,18);

Ein Herz, das steht, wie es heißt: „Wird dein Herz stehenbleiben“ (Jechezkel 22,14);

Ein gehendes Herz,wie es heißt: „Ging mein Herz nicht mit“ (2.Melachim 5,26);

Ein fallendes Herz,wie es geschrieben steht: „Niemandem soll das Herz um seinetwillen fallen“ (1.Schmuel 17,32);

Ein Herz, das sich freut, wie es geschrieben steht: „Darum freut sich mein Herz“ (Tehilim 16:9);

Ein Herz des Trostes, wie es geschrieben steht: „Redet zum Herzen Jerusalems“ (Jeschajah 40:2, Midrasch Zuta Kohelet 2);

Das Herz ist das Gefäß der Persönlichkeit des Menschen, hier befinden sich seine Gedanken und Impulse, man kann sagen, er selbst. Und das, was aus dem Herzen kommt, verunreinigt den Menschen, denn die Eigenschaft der Unreinheit ist, nach außen zu gehen und nicht nach innen. Jeschua interpretiert dies metaphorisch, indem er darauf hinweist, dass aus dem Mund eines Menschen kann nur das kommen, was in seinem Herzen verwurzelt ist.

aber mit ungewaschenen Händen zu essen, verunreinigt den Menschen nicht – die neu eingeführten Regeln der Weisen haben eine etwas ungewöhnliche Situation geschaffen. Tatsächlich ist es unmöglich, dass die Hände unrein sind, während der Mensch selbst rein ist. Es ist auch unmöglich, dass nur ein Teil eines Gegenstandes unrein wäre – er kann nur als Ganzes unrein sein. Und während die Weisen davon ausgingen, dass die Hände „lüstern“ sind, sagt Jeschua hier, dass die Unreinheit (tumah), die sich an den Händen befinden mag, nicht in den Menschen eindringen kann. Aber was noch wichtiger zu beachten ist, dass das Herz des Menschen auch sehr „lustern“ ist, und diese Unreinheit, die im Herzen ist, macht einen Menschen unrein. Dementsprechend ist es ein Vergehen für einen Priester, von einer Opfergabe (truma) in einem Zustand dieser Unreinheit zu essen.

21. Und Jeschua ging von dort weg und zog sich in die Gegenden von Tyrus und Sidon zurück;

22. und siehe, eine kanaanäische Frau, die aus jenem Gebiet herkam, schrie und sprach: Erbarme dich meiner, Herr, Sohn Davids! Meine Tochter ist schlimm besessen.

23. Er aber antwortete ihr nicht ein Wort. Und seine Jünger traten hinzu und baten ihn und sprachen: Entlass sie! Denn sie schreit hinter uns her.

Offenbar war diese Frau bis zu einem gewissen Grad mit der jüdischen Tradition vertraut. Ihr Appell an Jeschua ist ganz traditionell. Genauso hat sich ein Blinder an ihn gewendet, um geheilt zu werden.

Die Jünger zeigen in diesem Fall kein Mitleid mit der kanaanäischen Frau, sondern bitten Jeschua, sie wegzuschicken (geheilt oder nicht), weil sie ihnen nachläuft und schreit – das heißt, einfach weil sie ihnen im Weg ist.

24. Er aber antwortete und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.

Sowohl im Tanach als auch in rabbinischen Quellen wird Israel oft mit Schafen verglichen: Ihr seid Meine Schafe. Die Schafe Meiner Weide seid ihr, Menschen. Ich bin euer Gott – Spruch GOTTES, des Herrn“ (Jechezkel 34:31). „Mein Volk war eine verloren gehende Schafherde; ihre Hirten leiteten sie irre auf verführerische Berge. Sie gingen von Berg zu Hügel, vergaßen ihre Lagerstätte“ (Jermijahu 50:6).

Matthai erzählt diese Episode im Zusammenhang mit der vorherigen Geschichte, in der Jeschua die Pharisäer als blinde Führer bezeichnete. In diesem Fall entwickelt er in seiner Antwort an die Schüler seinen Gedanken. Der Midrasch (Psikta Rabati 26) beschreibt den Zustand der verlorenen Schafe folgendermaßen:

„Und es begab sich zu der Zeit, dass das Vieh verdorben wurde und seine Hirten hasste, und die weisen Führer wurden von ihnen entfernt.“ Das Vieh ist Israel. Und Israel wird oft mit Vieh verglichen, wie es geschrieben steht: „Ihr seid Meine Schafe. Die Schafe Meiner Weide seid ihr, Menschen“. Und das Vieh hasste seine Hirten und setzte falsche und böse Hirten über sich, die sie von ihrem Schöpfer wegführten und sie in die Sünde führten. Und wahrlich, durch den Heiligen Geist sprach Jermijahu über sie“.

25. Sie aber kam und warf sich vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir!

Hier spricht die Frau in einer einfacheren, hellenistischen Form; das ist keine jüdische Ansprache mehr.

26. Er antwortete und sprach: Es ist nicht schön, das Brot der Kinder zu nehmen und den Hunden hinzuwerfen.

27. Sie aber sprach: Ja, Herr; doch es essen ja auch die Hunde von den Krumen, die von dem Tisch ihrer Herren fallen.

28. Da antwortete Jeschua und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter war geheilt von jener Stunde an.

In verschiedenen Midraschim wurden Hunde mit Übeltätern in Verbindung gebracht, sie könnten aber auch Analphabeten oder Heiden symbolisieren. In diesem Fall verwendet Jeschua ein Wort, das keinen Straßenhund bezeichnet, sondern einen kleinen Schoßhund aus den Rassen, die zur Unterhaltung gehalten werden. Der folgende Midrasch spiegelt das Gespräch zwischen Jeschua und der kanaanäischen Frau:

Du hast Freude in mein Herz gegeben, mehr als jenen zu der Zeit, da sie viel Korn und Most haben“ (Tehilim 4,8). Das Volk Israel sagte zu Gott: „Herr der Welt, wie die Heiden, die nur die sieben Gebote halten, die Du ihnen geschworen hast zu halten, durch diesen einen großzügigen Segen in dieser Welt empfangen, so glauben wir, dass Du für uns, die wir die 613 Gebote halten, einen würdigen Lohn in dieser Welt und im Jenseits bereitet hast“. Und es heißt: „Du hast Freude in mein Herz gegeben, mehr als jenen zu der Zeit, da sie viel Korn und Most haben“.

Rabbi Jehoschua ben Levi erzählte ein Gleichnis von einem König, der ein großes Fest feierte und Gäste einlud: „Und er setzte sie in den Saal des Vorzimmers, während sie warteten. Als sie auf das Festmahl warteten, sahen sie die Hunde des Königs aus der Küche kommen; in ihren Zähnen hatten sie Stücke von Kalbsköpfen und Stücke von Wachteln und Stücke von Schafen. Und die Gäste wunderten sich, sie freuten sich und sagten: „Wenn die Hunde so gutes Essen bekommen, was für ein Essen hat der König für uns zubereitet!“ (Midrasch Tehilim 4).

Die kanaanäische Frau will damit sagen, dass ein Teil der Großzügigkeit des Herrn die Großzügigkeit gegenüber Hunden ist. Und diese Großzügigkeit wird möglicherweise ein gutes Zeichen für die Söhne des Königreichs sein, damit sie den Plan des Königreichs besser verstehen.

Interessant ist auch, dass nach jüdischer Tradition Hunde die besondere Gunst Gottes verdienen und es eine gute Tat ist, ihnen Nahrung zu geben:

„Als es das zweite Jahr der Dürre war, öffnete Rabi seine Schatzkammer und verkündete: „Lasst diejenigen hereinkommen, die den Tanach kennen, diejenigen, die die Mischna kennen, diejenigen, die den Talmud kennen, diejenigen, die die Haggada kennen, diejenigen, die das Gesetz kennen“. Auch Rabbi Jonatan ben Amram trat mit anderen ein und bat: „Gebt mir zu essen!“ Rabi fragte ihn: „Mein Sohn, hast du den Tanach gelesen?“ Er antwortete: „Nein“ – „Vielleicht hast du den Talmud studiert?“ Und er antwortete: „Nein“ – „Wie kann ich dich dann ernähren?“ – „Ernähre mich, wie man einen Hund oder einen Raben ernährt!“ Also gab er ihm zu essen. Als der Mann ging, weinte der Rabi: „Wehe mir, dass ich einen Mann satt gemacht habe, der ungebildet ist!“ Rabbi Schimon bar Rabi sagte zu ihm: „Das muss Jonatan ben Amram gewesen sein, der kein Gewinn macht aus dem, dass er die Torah kennt“. Rabi prüfte es und stellte fest, dass das der Fall war. Daraufhin öffnete er die Schatzkammer und sagte: „Kommt alle herein!“ (Talmud, Traktat Bawa Batra 8a).

29. Und Jeschua ging von dort weg und kam an den See von Galiläa; und als er auf den Berg gestiegen war, setzte er sich dort.

30. Und große Volksmengen kamen zu ihm, die Lahme, Blinde, Krüppel, Stumme und viele andere bei sich hatten, und sie warfen sie ihm zu Füßen; und er heilte sie,

31. sodass die Volksmenge sich wunderte, als sie sahen, dass Stumme redeten, Krüppel gesund wurden, Lahme gingen und Blinde sahen; und sie verherrlichten den Gott Israels.

Die Formulierung „und verherrlichte den Gott Israels“ weist natürlich darauf hin, dass es sich um die Nichtjuden handelt. Im Talmud gibt es zahlreiche Situationen, in denen die Verherrlichung des Gottes Israels der Zweck der Barmherzigkeit gegenüber einem Nichtjuden ist:

„Rabbi Schimon ben Schetach war ein Leinenhändler. Eines Tages sagten seine Jünger zu ihm: „Rabbi, damit du nicht so hart arbeiten musst, kaufen wir dir einen Esel“. Sie gingen auf den Markt und kauften einen Esel von einem Ismaeliten. Als sie ihn kauften, fanden sie einen kostbaren Stein, der an seinem Hals hing. Voller Freude kamen sie zu ihrem Lehrer und sagten: „Rabbi, jetzt brauchst du überhaupt nicht mehr zu arbeiten!“ – „Was ist passiert?“ – „Wir haben diesen Esel von einem Ismaeliten gekauft und an ihm einen kostbaren Stein gefunden!“ – „Wusste der Besitzer davon?“ – „Nein, anscheinend nicht“ – „Dann müsst ihr hingehen und ihn ihm zurückgeben!“ Die Jünger widersprachen: „Rabbi, wenn es eine Diskussion über den Raub des Eigentums eines Heiden gibt, so gibt es keine Diskussion über das, was er verloren hat – es gibt keine Notwendigkeit, es ihm zurückzugeben“. Da ging Schimon ben Schetach selbst hin und gab dem Ismaeliten den Stein zurück. Da sagte der Ismaelit: „Gelobt sei der Gott der Juden! Wenn ich an meinen Stammesgenossen verkauft hätte, hätte er mir den Stein nicht zurückgegeben“. Schimon ben Schetach kehrte zu seinen Jüngern zurück und sagte: „Warum haltet ihr mich für einen Barbaren? Es gibt keinen größeren Lohn für mich, als diesen Heiden sagen zu hören: Gelobt sei der Gott der Juden!“ (Jeruschalmi Talmud, Traktat Bawa Metzia 8).

32. Als Jeschua aber seine Jünger herangerufen hatte, sprach er: Ich bin innerlich bewegt über die Volksmenge, denn schon drei Tage harren sie bei mir aus und haben nichts zu essen; und ich will sie nicht hungrig entlassen, damit sie nicht etwa auf dem Weg verschmachten.

33. Und seine Jünger sagen zu ihm: Woher nehmen wir in der Einöde so viele Brote, um eine so große Volksmenge zu sättigen?

34. Und Jeschua spricht zu ihnen: Wie viele Brote habt ihr? Sie aber sagen: Sieben und wenige kleine Fische.

35. Und er gebot den Volksmengen, sich auf die Erde zu lagern.

36. Er nahm die sieben Brote und die Fische, dankte und brach und gab sie den Jüngern, die Jünger aber gaben sie den Volksmengen.

37. Und sie aßen alle und wurden gesättigt; und sie hoben auf, was an Brocken übrig blieb, sieben Körbe voll.

38. Die aber aßen, waren viertausend Männer, ohne Frauen und Kinder.

In diesem Fall geht es wohl immer noch um die Nichtjuden. Und in diesem Zusammenhang die symbolische Erwähnung der sieben Körbe und der sieben Brote. Die 7 ist eine Zahl, die oft mit den Völkern in Verbindung gebracht wird – die sieben Gebote, die ihnen gegeben wurden, die sieben Völker, die im Land leben, und so weiter. Obwohl Matthai es nicht ausdrücklich sagt, wird die Entwicklung des Ereignisses, dass in dem Gespräch mit der kanaanäischen Frau begonnen hat, hier deutlich.

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