KAPITEL 4

1. Dann wurde Jeschua von dem Geist in die Wüste hinaufgeführt, um von dem Teufel versucht zu werden;

Von dem Geist in die Wüste hinaufgeführtDie Stimme Gottes vom Himmel, wird in der rabbinischen Literatur bat kol genannt. Sehr oft wurde diese Offenbarung mit einer Taube verglichen. Beispielsweise sagt Rabbi Jossi im Traktat Brachot, dass er die bat kol gurren hörte wie eine Taube, die über die Zerstörung des Tempels trauert. Im Buch „Hessed leAbraham“ wird diese Stimme als das subtilste Flüstern vom Himmel beschrieben, dass die Menschen nur hören können, weil die Vögel, die am Himmel fliegen, die dichte Luft mit ihren Flügelschlägen entladen. In diesem Fall weist die Taube, die in der Beschreibung von Matthai am Ende des vorherigen Kapitels erscheint, auf den Beginn der göttlichen Offenbarung hin. „Von dem Geist … hinaufgeführt“ sollte offenbar als „durch göttliche Offenbarung geleitet“ verstanden werden.

In die Wüste ‒ so wie das Volk Israel in der Wüste geprüft wurde (Dwarim 8,2): „Und du sollst an den ganzen Weg gedenken, durch den der HERR, dein Gott, dich geführt hat diese 40 Jahre lang in der Wüste, um dich zu demütigen, um dich zu prüfen, damit offenbar würde, was in deinem Herzen ist, ob du seine Gebote halten würdest oder nicht“.

Matthai entwickelt, wie man sehen kann, die Parallele zwischen Jeschua und Israel weiter.

Um … versucht zu werden ‒ in der rabbinischen Tradition wird das Wort in einen zusätzlichen Kontext gestellt:

„Und es geschah nach diesen Ereignissen, da prüfte (nissaprüfen, hat auch die Bedeutung ‒ erhob wie eine Fahne, machte zu einem Wunder) Gott den Abraham“ Bereschit 22:1. Darüber steht geschrieben: „Du hast denen, die Dich fürchten, ein Banner gegeben, damit sie es aufrichten um der Wahrheit willen“ (Tehilim 60:6). Durch seine Prüfungen wird Abraham zum Zeichen für die Nationen, und durch ihn kommt Licht in die Welt“.

Eine weitere Ebene des Verständnisses:

Der HERR prüft den Gerechten; aber den Gottlosen und den, der Gewalttat liebt, hasst seine Seele“ (Tehilim 11:5). Rabbi Jochanan sagte: „Dieser Töpfer prüft keine dünnen Krüge, die schon vom Schnippen zerfallen. Er prüft die guten Krüge, auf die er mehrmals klopft. Darüber steht geschrieben: „Und es geschah nach diesen Ereignissen, da stellte Gott den Abraham auf die Probe“. Rabbi Jossi ben Hanina lehrte: „Ein Flachsarbeiter arbeitet nicht an Flachs, von dem er weiß, dass es schlecht ist, und wenn man ihn nur einmal schlägt ‒ zerbröckelt er bereits. Sondern der Flachsarbeiter nimmt solchen Flachs, der umso mehr Öl abgibt, je öfter man ihn schlägt“. Rabbi Elazar sagte: „Hier ist für euch ein Beispiel von einem Bauer, der zwei Kühe hat. Die eine ist stark, die andere schwach. Welche von beiden wird er mit der Arbeit belasten? Ist es nicht diejenige, der stark ist? Auf dieselbe Weise prüft Gott die Gerechten in dieser Welt, wie es heißt: „Er wird den Gerechten prüfen“.

Von dem Teufel ‒ in Midraschim des Landes Israel bedeutet satan oft hasatan, abgeleitet vom Wort lehasit (anstiften, aufstacheln, böswillig anklagen). Diese Rolle wird einem bestimmten Engel von Gott selbst gegeben. Er ist Gottes Werkzeug zur Prüfung des Menschen.

2. Und als er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn schließlich.

Matthai zeigt hier eine Parallele zwischen Jeschua und Mosche, und er vergleicht die spirituellen Erfahrungen Jeschuas während des Fastens mit dem Empfang der Torah, als Mosche vierzig Tage und Nächte auf dem Berg Sinai in göttlicher Gegenwart war und ebenfalls fastete.

3. Und der Versucher trat zu ihm hin und sprach: Wenn du Gottes Sohn bist, so sprich, dass diese Steine Brote werden!

Beim Lesen dieses Verses tauchen gleich mehrere Fragen auf. Warum sagt der Versucher: „Sage, dass es gemacht werden soll“ und nicht: „Tu es“? Besteht die Prüfung darin, ob man durch das Wort Steine in Brot verwandeln kann, oder ob man gehorcht? Was ist der Zusammenhang zwischen der Sohnschaft Gottes und der Verwandlung von Steinen in Brot?

Der Ausdruck ben elohim (Sohn Gottes) hatte damals ein ziemlich breites Spektrum an Verständnissen und Deutungen. Der Punkt ist, dass das Wort ben nicht nur Sohn bedeutet, sondern auch „der die Eigenschaften erbt“ oder „dem die Macht gegeben ist“. In der Literatur „Himmlische Paläste“, deren Ursprünge auf die Epoche des zweiten Tempels zurückgehen, gab es eine Kosmogonie, nach der jedes Objekt mit Hilfe eines göttlichen Namens in ein anderes umgewandelt werden kann. Und dieser Fall hier enthält eine gewisse Andeutung im Geiste der damals verbreiteten mystischen Lehren. Das aramäische Wort לחמא (lachmaBrot, Gematria 79), entspricht in Gematria dem Wort אבן (evenStein, Gematria 53), plus dem vierbuchstabigen Namen יהוה (Gematria 26). Aus der Sicht des jüdischen Lesers schlägt Satan an dieser Stelle Jeschua vor, an der Schöpfung teilzunehmen und seine göttlichen Eigenschaften zu zeigen.

Es gibt noch einen weiteren interessanten Aspekt in diesem Gespräch: Satan kann als ein böser Trieb, als ein böser, fleischlicher Teil der menschlichen Natur auftreten. In der Tradition der Midraschim ist einer der Namen dieses bösen Triebes – der Hasser. Ein Hinweis auf diesen Namen findet sich in der Auslegung von Rabbi Avira zum Mischlej (Sprüche) 25,21: „Wenn dein Feind hungrig ist, speise ihn mit Brot“.

4. Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben: »Nicht von Brot allein soll der Mensch leben, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes hervorgeht!«

Nicht von Brot allein – Dieser Satz, den Jeschua zitiert, wird in vielen Quellen als „nicht das Brot selbst“ verstanden. Nach dem bereits erwähnten Konzept ist die ganze Welt durch das Wort, die Rede Gottes, geschaffen, und die grundlegende Kraft, die allen Lebewesen Leben gibt, ist genau dieses Wort. Wenn ein Mensch zum Beispiel Brot isst, wird er von der Energie der Worte genährt, die von Gott kamen und dieses Brot erschaffen haben. So ist der zitierte Vers der Torah in vielen Midraschim ausgelegt worden. Daher kann Jeschuas Antwort an Satan als Hinweis darauf verstanden werden, dass das Wort selbst bereits sättigt, während Brot in diesem Fall nur eine Illusion ist.

5. Darauf nimmt ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellt ihn auf die Zinne des Tempels

6. und spricht zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so stürze dich hinab; denn es steht geschrieben: »Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben, und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht etwa an einen Stein stößt«.

Nach alter Überlieferung sollte die Offenbarung des Maschiach an Israel folgendermaßen ablaufen:

„Unsere Weisen lehrten: „Wenn der Maschiach offenbart wird, wird er an der Eckkante des Tempels aufgestellt (gemeint ist dieselbe südwestliche Eckkante, auf der Jeschua stand) und er wird dem Volke verkünden: „Ihr Leidenden, die Zeit eurer Erlösung ist gekommen. Und wenn ihr mir nicht glaubt, so seht das Licht an, das über euch ausgegossen wird (hier ist ein Bild von etwas, das herabfällt, etwas, das über die Oberfläche fließt), denn darüber ist gesagt: „Denn dein Licht ist gekommen, und die Herrlichkeit des Herrn ist über dir aufgegangen“ (Jeschajah 60). Nur über dir (Israel) leuchtet es, und die anderen Völker verharren in Finsternis, denn es steht geschrieben: „Denn siehe, Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völkerschaften; aber über dir strahlt der HERR auf, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. Und Heidenvölker werden zu deinem Licht kommen, und Könige zu dem Glanz, der über dir aufgeht“. Und Könige der Völker werden diesem Licht nachfolgen, und Könige werden kommen und Maschiachs Füße küssen und ihm dienen, denn es ist gesagt: „Und Könige werden deine Lehrmeister sein und ihre Fürstinnen deine Ammen. Sie werden sich vor dir niederwerfen mit dem Gesicht zur Erde und den Staub deiner Füße lecken. Da wirst du erkennen, dass ich der HERR bin; die auf mich hoffen, werden nicht beschämt werden“.

Im Zusammenhang mit diesem Midrasch schlägt Satan Jeschua vor, seine Offenbarung als Maschiach „beschleunigen“, um die Offenbarung des göttlichen Lichts zu beschleunigen. Das Motiv für diesen Versuch findet sich im Buch „Die Offenbarung Gabriels“ (1.Jahrhundert v. Chr.) und im „Buch Serubbabel“. In diesen Büchern stirbt Maschiach, der sich von der Höhe des Tempels stürzte, wird aber am dritten Tag wieder auferweckt. Dieses Motiv veranlasste später, bei der Zerstörung des Tempels, die Kinder der Priester (die sogenannten „Blumen des Priestertums“) von der gleichen Eckkante des Tempels in das Feuer zu stürzen, das um ihn herum angezündet worden war.

7. Jeschua sprach zu ihm: Wiederum steht geschrieben: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.«

Das Bild des sterbenden Maschiach war mit dem Wunsch verbunden, die Erlösung näher zu bringen und die Geduld Gottes zu erproben: „Verhärtet euer Herz nicht, wie zu Meriba, wie am Tag von Massa in der Wüste, wo eure Väter mich auf die Probe stellten, mich prüften, obwohl sie mein Werk gesehen hatten“ (Tehilim 95). Jeschua widersteht der Versuchung, den Fehler der Wüstengeneration zu wiederholen.

8. Wiederum nimmt der Teufel ihn mit auf einen sehr hohen Berg und zeigt ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit

9. und sprach zu ihm: Dies alles will ich dir geben, wenn du niederfallen und mich anbeten willst.

Der hohe Berg symbolisiert den Götzendienst, wie z.B. in Dwarim (5.Mose) 12:2: „Nationen, die ihr vertreiben werdet, ihren Göttern gedient haben auf den hohen Bergen“. Auch hier gibt es eine Parallele: „Steige auf den Gipfel des Pisga und hebe deine Augen auf gegen Westen und gegen Norden und gegen Süden und gegen Osten“. Die Weisen kommentieren diese Passage als eine Offenbarung, die Mosche gegeben wurde, um alle Reiche der Welt (olám hasé) und ihre Herrlichkeit zu sehen, und sie mit dem Land Israel zu vergleichen. Hier verführt Satan Jeschua, König dieser Welt zu werden (olám hasé), und sich zu weigern, das Land zu betreten.

10. Da spricht Jeschua zu ihm: Geh hinweg, Satan! Denn es steht geschrieben: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen.«

Diese Worte sind ein Zeugnis für Satan, dass Jeschua eine Wahl getroffen hat.

11. Dann verlässt ihn der Teufel, und siehe, Engel kamen herbei und dienten ihm.

Midrasch erzählt, dass die Engel im Garten Eden Adam dienten, indem sie ihm Essen zubereiteten, bis Satan zu ihm kam. In der kommenden Welt wird der Herr dem Satan befehlen, sich von dem gerechten Adam zu entfernen, und wieder werden Engel zu ihm kommen, um ihm zu dienen.

12. Als er aber gehört hatte, dass Johanan überliefert worden war, ging er weg nach Galiläa;

13. und er verließ Nazareth und kam und wohnte in Kapernaum, das am See liegt, in dem Gebiet von Sebulon und Naftali;

14. damit erfüllt wurde, was durch den Propheten Jeschajah geredet worden ist, der sagt:

15. »Land Sebulon und Land Naftali, gegen den See hin, jenseits des Jordan, Galiläa der Nationen:

16. Das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen, und denen, die im Land und Schatten des Todes saßen, ist Licht aufgegangen.«

Das ist ein klassisches Beispiel, wenn der Midrasch ein Fragment der Schrift vom Kontext trennt. Im Original beziehen sich die erste und zweite Hälfte des Zitats auf verschiedene Abschnitte, verschiedene Themen der Prophezeiung.

17. Von da an begann Jeschua zu predigen und zu sagen: Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen!

Das Wort Buße bedeutet im Hebräischen eher zurückkehren oder umkehren. Im Allgemeinen kann man den Satz von Jeschua wie folgt verstehen: Kehrt um, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen! Das heißt, es nähert sich der Moment des aktiven Eingreifens Gottes in die Geschichte, auch bekannt als die Gelegenheit zur Umkehr und Erneuerung des Bundes. In Anbetracht dessen, was Matthai über Jeschua in seiner Abstammung berichtet hat, indem er die vier Frauen erwähnt, und was er später über die Namensgebung erzählt hat – all das lässt darauf schließen, dass Jeschuas Predigt ist ein Aufruf zur Erneuerung des Bundes, ja sie ist auch ein Aufruf, ihm zu einer neuen Art von Gemeinschaft zu folgen. Dies wird in den folgenden Versen über die Wahl der Jünger deutlich.

18. Als er aber am See von Galiläa entlangging, sah er zwei Brüder: Simon, genannt Petrus, und Andreas, seinen Bruder, die ein Netz in den See warfen, denn sie waren Fischer.

19. Und er spricht zu ihnen: Kommt, mir nach! Und ich werde euch zu Menschenfischern machen.

20. Sie aber verließen sogleich die Netze und folgten ihm nach.

Dabei handelt es sich wahrscheinlich um einen traditionellen jüdischen Dialog zwischen einem Schüler und einem Lehrer, bei dem der Name, der Geburtsort oder der Beruf des Schülers verwendet wird. Die Hauptaufgabe dieser Berufung besteht darin, den Schüler in die Welt der Torah, in die Welt des Gehorsams gegenüber Gott, zu bringen. Ein klassisches Beispiel für eine solche Berufung ist die Geschichte von dem, was zwischen Rabbi Jochanan und Rejsch Lakisch geschah. Rejsch Lakisch war der Anführer einer Räuberbande, als Rabbi Jochanan ihn traf. Als Rabbi Jochanan diesen starken Mann sah, rief er aus: „Deine Kraft sollte für die Torah eingesetzt werden!“ Ebenso ruft Jeschua in diesem Fall die Jünger auf, als wollte er ihnen sagen: „Euer Geschick sollte genutzt werden, um Menschen zu fangen“.

21. Und als er von dort weiterging, sah er zwei andere Brüder: Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und Johanan, seinen Bruder, im Boot mit ihrem Vater Zebedäus, wie sie ihre Netze ausbesserten; und er rief sie.

22. Sie aber verließen sogleich das Boot und ihren Vater und folgten ihm nach.

Der Ausdruck „er rief sie“ hier in Matthai ist in diesem Fall dasselbe wie „beim Namen gerufen“. Für den jüdischen Leser könnte dieses Detail auf eine gewisse Vorbestimmung für die berufenen Schüler hinweisen, auf die Tatsache, dass ihre Erwählung nicht zufällig, sondern von Anfang an vorherbestimmt war.

23. Und er zog in ganz Galiläa umher, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium des Reiches und heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen unter dem Volk.

24. Und die Kunde von ihm ging hinaus in das ganze Syrien; und sie brachten zu ihm alle Leidenden, die mit mancherlei Krankheiten und Qualen behaftet waren, und Besessene und Anfallskranke und Gelähmte; und er heilte sie.

25. Und es folgten ihm große Volksmengen von Galiläa und dem Zehnstädtegebiet und Jerusalem und Judäa und von jenseits des Jordan.

Der Beginn des Wirkens des Maschiach in Galiläa ist ein ziemlich häufiges Thema in der jüdischen Tradition. In zahlreichen Midraschim wird es meist damit erklärt, dass Galiläa der äußerste und am weitesten von der Bildung entfernte Teil des Landes Israel ist. Zum Beispiel in Psikta Suta wird Maschiach sich dem Volk zeigen, angefangen bei Galiläa. Ein anderer Midrasch erzählt uns, dass die Galiläer zu Beginn des Wirkens Maschiachs von Stadt zu Stadt ziehen werden, um gerechtem Urteil, Wahrheit und Weisheit zu finden. Die Massen von Menschen, die Jeschua nachfolgen, könnte eine Illustration der von Amos prophezeiten Hungersnot nach dem Wort des Herrn sein. Dieser Hunger, so Midrasch Raba, steht am Anfang der Wirkung des Maschiachs.

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